120 Jahre "Provinzschriftsteller" Oskar Maria Graf
Morgen hat er Geburtstag: "Oskar Maria Graf im Kreis seiner New Yorker Stammtischfreunde" (zeitgenössischer Zeitungsausriss)
Natürlich ist die Gemeindeverwaltung nicht selbst darauf gekommen! Es bedurfte schon des Anstoßes aus Amerika, damit Bürgermeister Gastl auf die Idee kam, 1954 dem berühmtesten Sohn der Gemeinde, Oskar Maria Graf, zum 60. Geburtstag am 22. Juli zu gratulieren. Denn erstens war Graf in der Gemeinde eher der "Nestbeschmutzer" als ein Heimatdichter; zum zweiten bekanntermaßen eher Kommunist als Christsozialist; zum dritten hatte er mit seinem berühmten Spruch "Verbrennt mich!" doch sehr vehement gegen die in Berg fest im Sattel sitzenden Nazis gewettert; zum vierten hatte Graf aus all diesen Gründen 20 Jahre nichts mit Berg zu tun gehabt.
"Gratuliert ihm!" - Brief aus New York an die "Buergermeisterei Berg" (zum Vergrößern anklicken)
Am 13. Juli 1954 ging jedenfalls in der Gemeinde Berg ein Brief des deutschstämmigen, im Exil lebenden Autors Friedrich Sally Grosshut ein, dessen Eltern von den Nazis umgebracht worden waren. In einem für die damalige Zeit ungewöhnlichen Versöhnungsakt schrieb er unbekannterweise dem Berger Bürgermeister und erlaubte sich "Sie und ihre Stadt freundlichst darauf aufmerksam zu machen, dass der beruehmte Sohn Ihrer Stadt, Oskar Maria Graf, am 22. Juli dieses Jahres 60 Jahre alt wird." Bürgermeister Gastl, der Graf - nach 20 jähriger Abwesenheit - noch persönlich kannte, reagierte umgehend:
Bürgermeister Willi Gastl schrieb - gleich per Luftpost, denn die Zeit drängte - an den verlorenen Gemeindesohn Oskar Maria Graf:
"Lieber Herr Graf,
Als Vertreter Ihrer Heimatgemeinde möchte ich Ihnen zur Vollendung Ihres 60. Lebensjahres die herzlichsten Glückwünsche der ganzen Gemeinde übermitteln.
Möge Ihnen besonders Ihre Gesundheit und Ihre bisherige Schaffenskraft noch recht lange erhalten bleiben, eine Schaffenskraft, die in zahlreichen Werken den Namen Berg und die nähere und weitere Umgebung des Starnberger Sees sowie seine Menschen in so sympathischer Weise im In- und Ausland bekannt gemacht hat. Nicht jedes Gemeinwesen hat das Glück, daß eine Generation ihrer Einwohner und ihre Entwicklung in einer so lebendigen Art und Weise, mit den Augen eines Dichters gesehen, den Zeitgenossen dargestellt und der Nachwelt überliefert wird.
Umso mehr bedauern wir, daß es Ihnen in den letzten 20 Jahren nicht mehr möglich war, Ihre Heimat aufzusuchen, die Ihnen für Ihre Werke so sehr zu Dank verplichtet ist.
Mit herzlichsten Grüßen Ihr W. Gastl Bürgermeister"
60 Jahre her: Glückwünsche aus Berg zum Geburtstag (zum Vergrößern Bild anklicken)
Sicherlich war es reichlich übertrieben, Glückwünsche der "ganzen" Gemeinde zu übermitteln. Denn viele Berger Bürger nahmen immer noch Anstoß an der allzu "lebendigen Art", mit der ihre Machenschaften und menschlichen Unzulänglichkeiten zur Weltliteratur geworden waren. Trotzdem freute sich Oskar Maria Graf offensichtlich. Er antwortete gerührt von der Überraschung in einem Schreiben in die "USZone 13 B":
Originalbrief von Oskar Maria Graf (aus dem Archiv der Gemeinde Berg; zum besseren Lesen Bild anklicken)
"Lieber, geschaetzter Herr Buergermeister Gastl!
Dass meine Heimatgemeinde meines 60sten Geburtsags in so schoenen Worten gedacht hat, hat mich besonders gefreut. Es spricht aus dem Brief viel liebende Einsicht, dass ich mit meinen schwachen Kraeften doch stets bemueht war, die Landschaft und die Menschen meiner Heimat so wahrhaftig und echt darzustellen, dass auch andere diese Überzeugung gewinnen. Was kann einem Schriftsteller besseres geschehen?
Ich wuensche und hoffe nur, dass ich Berg und Bayern doch noch einmal wiedersehe und bitte Sie, alle, die mich dort noch kennen und jene, die meine Buecher dort lesen, herzlich zu gruessen.
Ihr sehr ergebener … Oskar Maria Graf "
Auch wenn aus diesen Zeilen nicht ganz klar wird, welche Überzeugung wer gewinnen soll … es sollte noch weitere 4 Jahre dauern, bis Oskar Maria Graf - wieder durch Vermittlung von F. S. Grosshut - zur 800-Jahr-Feier der Stadt München bayerischen Boden betreten sollte … und dann bei einer Lesung im Cuvilliéstheater regelrecht ausgepfiffen wurde. Dies aber ist eine andere Geschichte. Bei einer Lesung von weiteren unveröffentlichten Oskar-Maria-Graf-Briefen an Berger Adressen wird sie am 25. September im Katharina-von-Bora-Haus in Berg erzählt werden.
Wie die Geburtstagsfeier von OMG in New York ablief, schildert ein weiterer Brief von Grosshut am 29. August 1954: "Wir waren bei ihm in New York zu seiner Geburtstagsfeier. Sie verlief sehr ansprechend."
Die Beziehung von Willi Gastl zu Oskar Maria Graf wurde im Blog bereits hier erzählt: http://quh.twoday.net/stories/die-geschichte-vom-ehrentellerl-fuer-oskar-maria-graf/ Dort findet sich auch das einzige filmische Dokument von Grafs späterem Besuch in Berg.
Während es aber zum 125. Todestag von King Lui in Berg tagelange Festivitäten gab, bleibt 60 Jahre nach Gastls mutigem Brief dieser Artikel wohl die einzige Form des Gedenkens an den größten Sohn der Gemeinde zu dessen 120. Geburtstag. Die QUH verneigt sich in tiefer Verehrung.
Im Münchner Volkstheater gab es immerhin ebenfalls eine Lesung aus unveröffentlichten Graf-Briefen. https://www.muenchner-volkstheater.de/spielplan/gastspiele/oskar-maria-graf Morgen trifft sich die Graf-Gesellschaft im Münchner Literaturhaus zur Geburtstagsfeier. Berger Gemeinderäte werden nicht dabei sein: die beraten morgen stattdessen über Bauanträge in 3 stöckiger Höhe. Ein Brief aus Amerika kam offenbar auch nicht.
ammer - 2014/07/21 13:48