Oskar Maria Graf

Donnerstag, 7. November 2013

"Wer für die Revolution ist, uns nach!"

"Wie ist's denn mit Eurer Revolution?", fragt am Nachmittag des 7. Novembers 1918 (also genau heute vor 95 Jahren) die damalige Ehefrau von Oskar Maria Graf ihren Mann. Dieser zieht los auf die Theresienwiese: "Sozialdemokraten und Unabhängige forderten die Massen auf, heute nachmittag um drei Uhr auf der Theresienwiese zu erscheinen."

Revolution
Die Revolution fand auf der "Wies'n" statt: Die Theresienwiese heute vor 95 Jahren (Photo BSB)

Das Wort hat "unser" Dichter, der damals in vorderster Front mitmarschierte: "Je näher wir der Wiese kamen, desto mehr Menschen wurden es. Alle hatten es eilig. Vor der Bavaria waren dichte Massen und wuchsen von Minute zu Minute. Auf den Hängen und vor den Treppen des Denkmals herab redeten Männer. (...) Die Menge schob sich unruhig ineinander, Gedränge entstand. Wir fanden endlich Eisner, der weither von einem Seitenhang herunterschrie ... Wenn er einen Augenblick Atem holte, klangen die Stimmen der anderen Redner auf. Immer mehr und mehr Leute kamen. Unabsehbar war die Schar der Zusammengeströmten, wie ein Ameisenhaufen, schwarz und bewegt." (Oskar Maria Graf, Wir sind Gefangene, Paul List Verlag, S. 252f)

An die 60.000 Menschen sollen sich auf der "Wies'n" versammelt haben. Laut Grafs Bericht ruft nach Eisners Rede jemand "'Genossen! Unser Führer Kurt Eisner hat gesprochen. Es hat keinen Zweck mehr, viele Worte zu verlieren! Wer für die Revolution ist, uns nach! Mir nach! Marsch!' Und mit einem Male gerieten die johlenden Massen ins Vorwärtsdrängen. wie eine kribblige, schwarze Welle wälzten sich die tausend und abertausend Menschen hangaufwärts auf die Straße; weiter ging es im Schnellschritt, an geschlossenen Häusern und herabgezogenen Rolladen vorbei, den Kasernen zu. Wir marschierten, eingekeilt von einer dahinstürmenden Menge, fast ganz an der Spitze, kaum fünf Schriittweit entfernt von Eisner, den ich unablässig betrachtete."

KurtEisner1919











Kurt Eisner (1867-1919), Journalist und Revolutionär, erster Ministerpräsident des von ihm ausgerufenen "Freistaates" Bayern. Graf berichtete über sein Verhalten während der Revolution: "Er war blaß und schaute todernst drein; nichts redete er. Fast sah es aus, als hätte ihn das jähe Ereignis selbst überfallen. Ab und zu starrte er vor sich hin, halb ängstlich und halb verstört." (Photo: Robert Sennecke)

Weiter mit Oskar, dem Revolutionär aus der Münchner Boheme, der sich vor allem über das stumpfe Desinteresse der Bayern wundert: "Die meisten Kasernen ergaben sich kampflos. Es kam auch schon ein wenig System in dieses Erobern: Eine Abordnung stürmte hinein, die Masse wartete. In wenigen Minuten hing bei irgendeinem Fenster eine rote Fahne heraus, und ein mächtiger Jubel erscholl, wenn die Abordnung zurückkam. (...) Die Revolution hatte gesiegt. Alles war in ihren Händen, Post und Telegraph, Bahnhof und Residenz, Landtag und Ministerium. - Ich hatte Hunger. 'Gehn wir in die Wirtsstube und essen und trinken was', sagte ich zu Schorsch. Wir drängten uns durch und traten in das rauchige Lokal. Dort saßen breit und uninteressiert Gäste mit echt Münchnerischen Gesichtern. (...) 'Mensch! Sowas!', konnte ich nur herausbringen, so verblüfft war ich. Wir bestellten Bier und Wurst und schlangen alles hastig hinunter." (ebd. S. 355 & 358)

Gegen 22 Uhr proklamiert Kurt Eisner im Landtag die Bayerische Republik. Die Wittelsbacher, eines der ältesten Königshäuser der Welt, am Ende nur noch ein marode Dymastie, waren endlich abgesetzt. Von König Ludwig III. (siehe unten: http://quh.twoday.net/stories/100-jahre-koenig-ludwig-iii/ ), der am Nachmittag des 7.11.1918 noch flanierend im Englischen Garten gesehen worden war, notiert Graf das Gerücht, dass er in Leutstetten gefangen genommen sei. Tatsächlich war er "mit Automobil und Familie" noch in der Nacht nach Österreich geflüchtet.

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Die Ereignisse tragen maßgeblich dazu bei den ersten Weltkrieg bald zu beenden. Grafs Schriststeller-Kollege Josef Hofmiller notiert zu der ganz und gar unblutigen bayerischen Revolution von 1918: "München war als Hauptstadt des Königreichs Bayern zu Bett gegangen, um als Hauptstadt des bayerischen Volksstaates zu erwachen." Am nächsten Morgen hängt alles voller roter Fahnen und Plakate. Ein letztes Mal Graf: "Die Tage verflogen wie zersprengte Minuten."

Donnerstag, 5. April 2012

Unser Oskar / pt. 3

Zum Osterfest die Fortsetzung unser kleinen Reihe von Trouvaillen unseres Dorfheiligen (und -banditen) Oskar Maria Graf. Dem Berger Aktiv-Burschen Philipp M. verdanken wir den ganz und gar köstlichen Hinweis auf eine wahrhaft unglaubliche Sangesdarbietung: Oskar Maria Graf singt das König Ludwig Lied von der Freiheit, die auf den Berg(en) liegt. Bitte das Bild anklicken:

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"Auf Schloss Berg haben sie ihn hingefahren ..."

Der Sage nach ließ Oskar Maria Graf in New York immer seine Stammtischabende mit dem Absingen dieses Liedes ausklingen. Angeblich gibt es diesen Stammtisch, zu dem Oskar nach dem Krieg immer an die zehn Emigranten um sich versammelte, irgendwo oben an der Upper East Side immer noch. Oskar hatte dort einen eigenen Krug, auf dessen Boden - wenn das Bier leer war - ein König-Ludwig-Bild durchschimmerte. Und immer wenn er den König sah, sprach er gelassen einen der wenigen Sätze aus, den er auf Englisch beherrschte: "Bring me noch a little beer" (Soviel zu der Fußnotendiskussion um Trinkgewohnheiten).

Die zum Heulen schöne Aufnahme des König-Ludwig-Liedes stammt vom Bayerischen Rundfunk und aus dem Jahre 1958, als "unser" Oskar anlässlich seines 64. Geburtstags bei seinem ersten Deutschlandbesuch nach dem 3. Reich (er war inzwischen amerikanischer Staatsbürger) im "Münchner Brettl" auftrat. - Um die anderen Oskar-Artikel zu finden, rechts in der Leiste unter "Themen" einfach "Oskar Maria Graf" anwählen.

Montag, 30. Januar 2012

Unser OSKAR / pt. 2

"Noch vor wenigen Jahren", weiß die renommierte Oskar-Maria-Graf-Gesellschaft, "tat man gut daran, in Berg nicht vollmundig als Verehrer Grafs aufzutreten.". Vor wenigen Jahren?

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Berg ist ... wo der König Ludwig heißt, der Graf aber nicht Oskar Maria

In 17 Städten dieser Welt - von Rosenheim bis Burghausen - haben Stadtverwaltungen dem berühmten Schriftsteller Oskar Maria Graf die Ehre erwiesen, Straßen oder Wege nach ihm zu benennen. Nur in Berg weigerten sich Anwohner, unter einer solchen Adresse angeschrieben zu werden. Deshalb gibt es in Berg bis heute zu Ehren des berühmtesten Sohnes der Gemeinde keine Oskar-Maria-Graf-Straße, sondern nur eine unverfängliche "Graf-Straße".

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Am sogenannten Oskar-Maria-Graf-Platz in Berg

Offiziell gibt es in Berg - irgendwo an der Kreuzung Grafstraße / Schatzlgasse - zum Ausgleich für diese schändliche Geschichte angeblich einen Oskar-Maria-Graf-Platz. ... und in der Tat hängt in schwindelnder Höhe versteckt auch einsam eine einzige, einem Straßenschild ähnliche Tafel, die so etwas vermuten ließe ...

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... doch das direkt hinter diesem Schild am vermeintlichen Oskar-Maria-Graf-Platz stehende Haus ...

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... trägt als postalische Adresse die unverfänglichen Bezeichnung ...

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Grafstraße 14!

Um diesen Zustand der Ignoranz etwas abzuändern, wird die QUH an dieser Stelle in lockerer Folge weiterhin Zitate, Dokumente oder Erinnerungsstücke an Oskar Maria Graf veröffentlichen. Den Anfang macht ein Photo der Schulklasse des kleinen Oskar. Mit dem Abschied aus der Aufkirchner Schule beginnt Grafs autobiographisches Meisterwerk "Wir sind Gefangene":

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Such den Oskar: Vor der Alten Schule um 1900 (Privatsammlung)

"An jenem Mainachmittag, da der Lehrer plötzlich zur Türe hereinkam, auf mich und meine Schwester Anna zuging und uns sagte, wir dürften heimgehen, weil unser Vater sehr krank sei, empfand ich gar nichts."

Erkennt auf dem obigen Photo noch irgendjemand irgendjemand anderen? - Zuschriften (oder andere Graf-Memorabilen) bitte an die QUH: quh@quh-berg.de

Vor genau 100 Jahren, 1912, beginnt dann für Graf nachdem er aus Berg nach Schwabing geflüchtet ist, seine Laufbahn als Schriftsteller. Er schreibt erste Gedichte und Aphorismen, verteilt Flugblätter: "Mit Büchervertreib und Zeitungen was zu tun zu haben, (...) das eröffnete immerhin Aussicht auf Gedrucktwerden. Sofort setzte ich mich nachts hin und schrieb einen Artikel über die Unterdrückung und die Gerechtigkeit (...). Andern Tags (...) holte ich die Theres nach langer Zeit wieder vom Geschäft ab. 'Ich hab jetzt eine feine Stelle', sagte ich strahlend und lächelte siegessicher, 'ich bin jetzt Sekretär bei den Anarchisten'" - Erst am Tag darauf erfährt der reichlich verblüffte, 18-jährige Oskar, dass dies mitnichten ein bezahlter Job ist. "Als ich mich dann endlich (...) etwas gesammelt hatte, knirschte ich und dachte wütend: Also wieder alles verpfuscht! Hol alles der Teufel! ... Fortsetzung folgt.

Und was hätte der Anarchist und "Nestbeschmutzer" Oskar zur QUH gesagt?

"Aus der offenen Stalltüre des Nachbarhauses drang das dumpfe Muhen der Kühe. 'So ein Kuh hab' ich immer haben wollen. Es hat nie gelangt dazu', murmelte der Stellmacher wie aus einem ohnmächtigen Schmerz heraus und atmete schwer. 'Maxl, eine Kuh ist viel wert ...' " (OMG, Das Leben meiner Mutter, Werkausgabe, List Verlag, Bd. V S. 139)

Einen anderer QUH-Artikel über die Reise "Unseres Oskars" zum "Berg der Wahrheit" findet sich hier: http://quh.twoday.net/stories/oskar-maria-graf-am-monte-verita/

Sonntag, 18. September 2011

Oskar Maria Graf am Monte Verità

In unserer kleinen Serie "Die QUH im Urlaub" heute Grüße aus der örtlichen und zeitlichen Ferne ... von Oskar Maria Graf. "Nie im Leben war ich so weit gereist", bekennt er in seinem Hauptwerk "Wir sind Gefangene" über die erste große Reise. Im Frühjahr 1913 besuchte unser örtlicher Kofferheiliger als 19-jähriger mit seinem Freund, dem Maler Georg Schrimpf, den legendären Monte Verità bei Ascona ... damals nach der Jahrhundertwende eine Art permanentes Woodstock.

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Wo bitte geht's hier zur Wahrheit?

Auf dem "Berg der Wahrheit" lebten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Sozialreformer, Aussteiger, Nudisten, Anarchisten, Ausdruckstänzerinnen, bekehrte Bankiers und ausgemergelte Vegetarier in einer offenen Kommune. Sie bildeten eine eigenartige Gemeinschaft, die als Vorläufer der Hippies und Keimzelle der Moderne gilt. Von den Aussteigern und ihrem Hügel hoch über dem Lago Maggiore gingen für die Kunst des 20. Jahrhunderts ungeahnte Impulse aus. Angefangen vom Anarchisten Erich Mühsam und dem jungen Lenin, über die Dadaisten (Hans Arp, Hugo Ball), die Philosophen Ernst Bloch und Max Weber, bis hin zu Paul Klee, den Nobelpreisträger Gerhard Hauptmann oder Hermann Hesse (sogar Heinz Rühmann soll einmal vorbeigeschaut haben) ... wer sich Anfang des Jahrhunderts zur Avantgarde zählte, stattete dem Monte Verità eine Stippvisite ab. So auch der damals völlig mittellose Jung-Bohemien Oskar Maria Graf.

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Freie Liebe für freie Körper: auf dem Monte Verità vor über hundert Jahren

Für den jungen Graf, der von seinem Bruder aus der Berger Bäckerei geprügelt worden war, wird es eine Begegnung mit der real existierenden Utopie: "Es waren alle möglichen Menschensorten da, Revolutionäre, Vegetarier, und Maler aus allen Himmelsrichtungen, Freiluftkuranhänger und endlich Literaten und Naturmenschen mit langen Haaren und nur mit einem Hemd aus grobem Sackleinen bekleidet. Die Vollblutpflanzenfresser hatten auf Verità eine große Siedlung genannt 'Die Heidelbeere'. Dort wurde Nacktkultur verkündet, neues Menschentum und freie Liebe betrieben. An allen Bäumen klebten Propagandazettel in Versform, die zum Eintritt aufforderten, aber wehe, wer nach Seife roch, solche mitbrachte oder gar rauchte ..." ('Wir sind Gefangene!', Kap. X)

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Der Monte Verità, wo Graf die Sozialisten studierte und Kropotkin traf

Einige Male trifft Graf im Bus sogar den hochverehrten russischen Anarchisten Fürst Kropotkin. Er liest sozialistische Klassiker ("Ich lernte viel dabei. Es ging mir langsam auf, daß man zu den Massen gehen müßte. Oft im Lesen entwarf ich gigantische Pläne ..." und weil er auf dem Postamt randaliert, weil von daheim kein Geld für ihn kommt, wird er einmal sogar verhaftet "Herr Graf, die Deutschen sind alle so im Ausland, als müßte alles nach ihnen gehen" ... Das ist ein großer Fehler.", ermahnt ihn das "Postfräulein". Man diskutiert in der Gruppe, ob man nach Brasilien auswandern soll, um eine utopistische Gesellschaft zu gründen. Graf ist heimatverbunden dagegen: "Was geht einen Revolutionär Brasilien und der Urwald an."

Letztendlich ist das ganze asketische Leben für den Bayern Oskar Maria Graf, der ohne jedes Geld am Monte Veritá eher dahinvegetiert als das Leben genießt, nicht auszuhalten: "Wir fahren zurück in unseren Sumpf, diese ganze Naturtrottelei kann mir gestohlen bleiben!", ruft er schließlich aus "Das ist was für Verdauungsphilister und Grasfresser! ... Das ist kein Leben!"

Nach einem finalen Besäufnis ("Nach einem wüsten Trinken ... zogen wir nachts vor das Haus ... des Verdauungsphilosophen, und sangen grölend Sauflieder.", verlassen Schrimpf und Graf sichtlich verwahrlost die Künstlerkolonie.

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Heute am Monte Verità: ein Tagungshotel und der gänzlich unvegetarische Kiosk Parsifal

"Verschlampt, mit langen Haaren, wie ein Wilder kam ich daher. Die zivilisierte Umgebung war mir halbwegs fremd geworden. Herrlich war der Tag. Groß und weit spannte sich der klare Himmel über den Starnberger See. So vertraut und so nahe war mir alles, als wär ich nie weg gewesen. In Leoni stieg ich aus dem Dampfschiff und ging den Berg hinan. Von weitem sah ich zwei sonntäglich gekleidete Jungfern und einen adretten Herrn daherkommen. ... Ich kam näher und näher und auf einmal schrien die drei zugleich: 'Um Gottswilln, der Oskar! Der Oskar!'"

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Wieder mit ordentlicher Frisur: Oskar Maria Graf und Georg Schrimpf 1916

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