Sonntag, 19. Mai 2013

Fünfzig Tage, ein Prozent

Vienna_Karlskirche_frescos4b Es gibt Fragen, die das Leben stellt. Fragen, die die QUH stellt. Und Fragen, die man sich selbst stellt. Genau dies tat Johannes Habdank, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Berg. Er nahm die Schlagzeilen der vergangenen Wochen zum Anlass, sich in Form eines fiktiven Interviews Gedanken über Finanzielles und die Zahlungsmoral seiner Schäflein zu machen. Er hat das Selbstgespräch der QUH zur Verfügung gestellt, das wir ungekürzt veröffentlichen.

Das liebe Kirchgeld, oder: Steuerhinterziehung in der Kirche
Viele Kirchenmitglieder bei uns zahlen Kirchensteuer, aber nicht ihr Kirchgeld. In Bayern beträgt der Kirchensteuersatz nur 8 %, überall sonst in Deutschland 9 % von der Lohn- und Einkommensteuer. In Bayern steht das 9. Prozent den Kirchengemeinden direkt zu. Sie wollen es als „Kirchgeld“ einmal im Jahr haben, bekommen es aber oft nicht.


X: Herr Habdank, derzeit steht verstärkt das Thema Steuermoral und –ehrlichkeit in den Schlagzeilen – Steuerhinterziehung! Was sagen Sie dazu?
Habdank: Steuerhinterziehung gibt es wahrscheinlich, seitdem es Steuern gibt. Das Thema wird gerade jetzt wieder sehr hoch gehandelt, auch wegen der Wahlkämpfe. Natürlich ist Steuerhinterziehung ein Straftatbestand. Öffentlich an den Pranger gestellt werden mit Vorliebe irgendwelche gesellschaftlich relevanten Spitzenverdiener oder sogenannte Besserverdienende aus medienträchtigen Zusammenhängen – Journalisten und prominente Medienvertreter selbst allerdings sind nie im Visier … .
X: Die Geringverdienenden spielen für Sie keine Rolle?
Habdank: Aus kirchlicher Sicht spielen die Geringverdienenden als Finanzquelle natürlich keine Rolle, weil sie praktisch nichts zahlen müssen. Im Gegenteil: Wir in Berg unterstützen aus Kirchensteuer- und Spendenmitteln jedes Jahr eine ganze Reihe bedürftiger Menschen in Berg, etwa Familien zu Weihnachten, damit auch deren Kinder Geschenke bekommen können, und das unabhängig von Konfession und Religionszugehörigkeit.
X: Und wo ist Ihr Problem mit den Normal- und Besserverdienern?
pfarrer-habdankHabdank: Also ich habe kein persönliches Problem mit ihnen. Zu den relativ Gutsituierten gehöre ich ja selber auch und zahle meine Kirchensteuern. Und das Kirchgeld, Höchstsatz 110,- € . Aber ein dienstliches Thema als Pfarrer dieser Kirchengemeinde habe ich mit allen, die ihr Kirchgeld einfach nicht zahlen. Das ist glatte Steuerhinterziehung!
X: Ein hartes Wort! Was tun Sie dagegen?
Habdank: Ich kann im Grunde nur appellieren, dass alle kirchensteuerpflichtigen Gemeindemitglieder ihr 9. Prozent, das sie überall anders in Deutschland automatisch abgezogen bekämen, gesetzes- und pflichtgemäß an unsere Gemeinde überweisen, nach Selbsteinschätzung auf Vertrauensbasis. Und das sind gestaffelt 5 bis 110,- € einmal im Jahr. Gerade gut und besser Verdienende wären in anderen Bundesländern mit weit mehr dabei!
X: Beispiel?
Habdank: Nehmen wir an, jemand hat 50 Tausend € Einkommensteuerlast, dann zahlt er 4.000,- € Kirchensteuern (8%), in anderen Bundesländern 500,- € mehr. Bei unserer Kirchgeldregelung zahlt er aber für das 9. Prozent nur maximal 110,- € Kirchgeld. Ich vermute, das machen sich die Leute gar nicht so recht bewusst! Etwa die Hälfte der kirchensteuerpflichtigen Kirchenmitglieder zahlen diesen vergleichsweise geringen Betrag nicht, der aber für uns sehr wichtig wäre! Nochmal: Das ist Steuerhinterziehung!
X: Wie ahnden Sie das? Sie könnten mahnen oder gegebenenfalls das Kirchgeld vor Gericht einklagen!
Habdank: Es ist, wie es ist: Die Austrittsschwelle ist sehr niedrig bei vielen. Gerade die, die sehr gut verdienen, zahlen ja auch schon mit 8 % Kirchensteuern sehr viel. Wovon unsere Gemeinde aber praktisch nichts sieht. Und: wir wissen vor Ort gar nicht, wer tatsächlich in welcher Höhe kirchensteuerpflichtig ist. Das läuft alles über die Landeskirche respektive das Kirchensteueramt.
X: Sie wissen das nicht?
pfarrer3Habdank: Nein. Ist ja vielleicht auch manchmal besser so in Berg. Dann kann ich jeden gleichbehandeln, ohne Ansehen seines Kontos. Fakt ist: Die Kirchensteuer wird zentral vereinnahmt und über einen bestimmten Schlüssel von der Landeskirche an die Gemeinden verteilt. Das ist ein gigantisches Umverteilungssystem. Es werden finanziell und sozial schwächere Gemeinden in Bayern von unseren Gemeindemitgliedern mitfinanziert. Das mag ja gut sein, aber: Wir sind eben eine kleine, feine Gemeinde hier in Berg, und haben praktisch nichts davon.
X: Wie meinen Sie das?
Habdank: Fein, was die Kirchensteuersumme betrifft, die von unseren Gemeindemitgliedern insgesamt in uns ungekannter Höhe an die Landeskirche abgeführt wird. Klein, was die Zuweisung der Mittel aus dieser gesamtbayerischen Summe betrifft, weil wir nur ca. 1330 Gemeindemitglieder zählen. Es handelt sich um wertvolle ca. 33.000,- €. Unser Haushalt hat ca. 100.000,- Gesamtvolumen. Bisher gehen jährlich nur 15.000,- € an Kirchgeld ein. Den Rest müssen wir durch freiwillige Spenden erwirtschaften, also über 50.000,- €.
X: Etwa 1330 Gemeindemitglieder, haben Sie gesagt. Da sind ja auch Kinder und sozial Schwache dabei. Wie viele Evangelische in Berg müssen denn Kirchgeld zahlen?
Habdank: Wir schicken jedes Jahr ca. 1100 Kirchgeldbriefe raus. Ein Teil der Angeschriebenen fällt nach Selbsteinschätzung unter die Grenze des Grundfreibetrags und muss kein Kirchgeld zahlen.
X: Wie viele zahlen denn dann Kirchgeld?
Habdank: Im Mittel der letzten Jahre haben jährlich 300 Personen Kirchgeld überwiesen. Das ist zwar schon sehr viel, aber wahrscheinlich noch nicht einmal die Hälfte derer, die zahlen müssten. Mehr als die Hälfte hinterzieht den fälligen Betrag einfach durch Nichtzahlen. Und das schmerzt, denn es geht ja nicht um irgendeine anonyme Geschichte, wofür man das Geld geben soll, sondern es geht um das, was hier vor Ort gebraucht und sinnvoll verwendet wird, für ein vielfältiges und ansprechendes Programm und Gemeindeleben! Und dann gibt´s dafür auch noch eine Spendenbescheinigung mit Original-Unterschrift des Pfarrers! Herz, was willst Du mehr …
pfarrer-2
X: Nochmal: Was tun Sie dagegen?
Habdank: Streng genommen müsste man rechtlich dagegen vorgehen. Aber das tun wir nicht, weil das Problem ist: aus der Kirche kannst du austreten, anders als beim Staat, außer du wanderst aus oder nutzt eine sogenannte Steueroase. Wir sind, was die Kirchenmitgliedschaft und die mit ihr verbundenen Pflichten betrifft, faktisch im Freiwilligkeitsstatus, mit allen Vor- und Nachteilen. Alles Gerede über zu große Staatsnähe der Kirche beim Thema Kirchensteuer und Kirchgeld ist billige antikirchliche Polemik.
X: Was Sie tun!?
Habdank: Was ich tue? Ich kann Ihnen nur danken für die Veröffentlichung dieses Interviews und hoffen, es lesen viele Kirchgeldhinterzieher, um künftig freudig zu zahlen! Kirchgeld ist ein Bestandteil der Kirchensteuer – in Bayern vergleichsweise günstig – und bleibt direkt hier bei uns und stärkt unsere Gemeinde, jeder Euro! Hab Dank!

(Fotos: Iradj Teymurian)

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